Die drei Ebenen der Angst
(1) Körperlich-physiologische Ebene
Stresshormone, besonders Adrenalin und Cortisol werden vermehrt ausgeschüttet, sobald der Mensch in Gefahr gerät
oder sich in Gefahr glaubt. Der Grund dafür ist eine evolutionär angelegte Überlebensreaktion des Körpers auf Angst
als sinnvolles Wahnsignal, die den Körper für maximale Leistungsbereitschaft im Sinne einer Kampf- oder Fluchtreaktion
rüstet.
Der Organismus wird nach einer Schrecksekunde innerhalb kürzester Zeit in Alarmbereitschaft versetzt. Verantwortlich
dafür ist das autonom gesteuerte vegetative Nervensystem, das sich in verschiedene Untersysteme gliedert. Bedeutsam
für die Erklärung einer Angstreaktion sind zunächst die sympathischen und parasympathischen Nervensysteme,
die als sogenannte Gegenspieler interagieren. Der Sympathikus hat die Aufgabe, den Körper anzuregen und
für Hochleistung zu rüsten. Der Parasympathikus hingegen sorgt für Ruhe und Entspannung und setzt nach jeder
sympathischen Aktivierung automatisch ein, um dem Organismus eine Erholungsphase zu verschaffen.
Ist die (vermeintliche) Gefahr vorüber und klingt die Angst ab, erlebt die Person einen Zustand von Erschöpfung, der
einige Stunden anhalten kann. Die körperliche Mobilmachung geht mit einem veränderten physiologischen (körperlichen)
Reaktionsmuster einher, sodass Menschen, die für körperliche Empfindungen sensibilisiert sind, beunruhigt
werden. Hierzu gehören der beschleunigte und kräftigere Herzschlag, die Konzentration der Durchblutung auf die
zentrale Organgruppen und Muskulatur, die erhöhte Muskelanspannung, Schwitzen etc.
Irrtümlicherweise befürchten die meisten Angstpatienten, sie würden in so einem Zustand in Ohnmacht fallen. Das
Gegenteil ist der Fall: Siewerden vorübergehend besonders aufmerksam aufgrund der erhöhten Alarmbereitschaft und
zu fast übermenschlichen Leistungen fähig, was in einer echten Gefahrensituation auch sehr sinnvoll ist.
Leiden Sie unter einer Angststörung, haben Sie das Problem, mit Ihrer Stressreaktion ungeheure körperliche Energien
umsonst zu mobilisieren, d. h. sie nicht tatsächlich in Kampf oder Flucht umsetzen zu können. Das führt zu einer enormen
Aktivierung des Herzkreislaufsystems und der Muskulatur, die nicht unmittelbar körperlich abreagiert werden
und letztendlich zu einer körperlichen und psychischen Erschöpfung führt.
In dem Bemühen um Wiederherstellung des körperlichen Gleichgewichts steuert der Parasympathikus einer Alarmreaktion
unmittelbar entgegen. Dabei wird das Herzkreislaufsystem wieder runterreguliert, der Herzschlag verlangsamt
sich, und die Muskelspannung lässt nach (welches am ehesten einem Schwäche- und Ohnmachtserleben Vorschub
leistet). Die Magen-Darm-Tätigkeit wird wieder gesteigert und damit nicht selten Übelkeit, Harn- und Darmdrang
ausgelöst.
Nach einer gewissen Zeit ist das physiologische Gleichgewicht aber wieder hergestellt. Panikattacken dauern selten
länger als eine halbe Stunde, in der Regel ohnehin wesentlich kürzer an. Manche Angstpatienten können nach einer
Panikattacke spontan drei bis vier Stunden schlafen.
Hormonelle Veränderungen lassen sich noch stundenlang im Blut nachweisen. Vorübergehend kommt es auch zur Unterdrückung der Immunabwehr.
(2) Die kognitive Ebene: Gedanken, Vorstellungen, Bewertungen, Überzeugungen
Unsere Gedanken und Vorstellungen wirken sich ebenso auf unsere Gefühle und körperlichen Reaktionen aus wie
umgekehrt. Beispiel: Bei der Vorstellung, in eine Zitrone zu beißen, ihrer Farbe, ihres Geschmacks, werden Sie in
kürzester Zeit auch das entsprechende Gefühl (z. B Angst vor Säure, Verlangen) und entsprechende Körperreaktionen
verspüren.
Bei traurigen Erinnerungen kommt Traurigkeit auf. Bei der Vorstellung eines angenehmen Ereignisses werden Sie
Freude spüren.
Auslöser einer Angstreaktion – intern wie extern–werden mit einer Gefahr assoziiert (»Das Herzrasen ist gefährlich!«,
»Ich habe bestimmt eine gefährliche Erkrankung!«, »Ich kippe gleich um!«, »Ich werde mich furchtbar blamieren!«).
Erst dadurch entstehen Gefühle wie Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit.
Nach einem Angstanfall sind daher die meisten Menschen zunächst auf Katastrophengedanken fixiert und beschäftigen
sich fortan mit Vorstellungen, die zu angstspezifischen und extrem verzerrten Fehlinterpretationen führen. »Ich
bin hilflos meinen Angstsymptomen ausgeliefert!«, »Ich bin krank!«, »Ich habe keine Kontrolle mehr!«
Folgende kognitive Muster begünstigen Panik:
! Sie denken zu viel an Angstsituationen, zum Beispiel das bevorstehende Einkaufen im Supermarkt oder die bevorstehende
Flugreise und verknüpfen dies mit der Erwartung, die Symptome nicht zu ertragen und nichts dagegen tun
zu können (z. B. atmen). Dies führt zu einer Steigerung Ihrer Erwartungsangst.
! Sie beachten unaufhaltsam bestimmte Körperempfindungen, wie Herzschlag oder Schwindel. Indem Sie sich gedanklich
darauf fixieren, beeinflussen Sie ihren Herzrhythmus und reagieren mit einer physiologischen Stressreaktion.
! Sie befürchten weitere Angstzustände. Ihre Angst vor der Angst führt zu einem erhöhten Erregungsniveau, das
nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines Panikanfalls erhöht, sondern auch die Lebensführung einschränkt.
! Sie sprechen permanent über Ihre Angst. Es ist zwar entlastend, über das innere Erleben mit einer vertrauten Person
zu reden; dies sollte jedoch nicht anhaltend und ausufernd geschehen, denn sonst wird durch die negative Denkspirale
die innere Anspannung aufrechterhalten.
! Sie fixieren sich immer stärker auf Angstquellen im Körper und in Ihrer Umgebung.
! Informationen über Unglück, Krieg, Katastrophen, negative Entwicklungen, körperliche Missempfindungen können
sensible Menschen grundsätzlich stärker erregen als Menschen mit einer geringen Reaktionsbereitschaft.
! Der Bewegungsradius schränkt sich ein, das Lebensgefühl wird deprimiert, die Fixierung auf Gefahren- und negative
Situationen nimmt zu (Tunnelblick) und negative Bewertungen und Gedanken stehen im Vordergrund.
(3) Motorische und Verhaltensebene
Beim Angsterleben zittern vielen Menschen Hände oder Beine. Die Muskelspannung nimmt zu, bei vielen entsteht
eine Bewegungsdrang und das Bedürfnis, nervös herumzulaufen. Andere erstarren in ihrer Anspannung bis zur vollständigen
Bewegungslosigkeit.
Nur etwa 30 Prozent der Panikpatienten haben wiederkehrende Panikattacken, das heißt, dass sich ein Angstanfall
bis zu einer extremen Stressreaktion hochpeitscht. Die Mehrzahl meidet in der Folge alle Situationen, die eine Angstattacke
auslösen könnten oder flieht daraus beim ersten Auftreten von Angst und Unruhe.
Dadurch entwickeln sich Verhaltensmuster in Situationen, die Sie mit einer Angstreaktion in Verbindung bringen:
! Fluchtverhalten beim ersten Anzeichen von Angst
! Vollständiges Meiden von Angstsituationen, wie Tunnel, Kaufhäuser oder Alleinsein
! Indirektes Vermeidungsverhalten, indem Sie Sicherheitsobjekte wählen (Begleitpersonen, WC-, Ärzte-, Apotheken-,
Krankenhausplan für den Weg, fluchtbereite Platzwahl in Tür nähe, Notfallmedikamente, Sonnenstudio,
Schirmmützen, lange Haare bei sozialen Ängsten etc.)
! Vorbeugendes Einnehmen von angstlindernden Medikamenten oder Alkohol zur Dämpfung der Angst
! Notarztrufe bei einer Panikattacke, Rückversicherung durch Arztbesuche
! Hilfsmittel, die als Sicherheitsanker (Wasserflasche, Handy etc.) dienen
Diese Strategien unterbrechen kurzfristig Ihre Angst und es entsteht zunächst das Gefühl der Erleichterung. Darunter
nimmt das Vermeidungsverhalten als erlernte Strategie jedoch zu und weitet sich auf andere angstbesetzte Bereiche
aus.
Auf mittlere Sicht verstärkt Meiden allerdings auch die Angstbereitschaft und wird zum »Allheilmittel« gegen die
Angst, die sich durch mangelnde Bewältigungserfahrungen immer mehr ausweitet. Erst nach geraumer Zeit erkennen
Angstpatienten, dass ihr Sicherheitsverhalten in Wirklichkeit keine Rettungsmanöver, sondern Angstverstärker sind.
Symptome der Angst
Die körperlichen Symptome der Angst sind normale (also nicht krankhafte) physische Reaktionen, die bei (einer realen oder phantasierten) Gefahr die körperliche oder seelische Unversehrtheit, im Extremfall also das Überleben, sichern sollen. Sie sollen ein Lebewesen auf eine Kampf- oder Flucht-Situation (fight or flight) vorbereiten:
Neben diesen individuellen Reaktionen hat das Zeigen von Angst etwa durch den charakteristischen Gesichtsausdruck oder durch Sprache
gegenüber anderen den sozialen Sinn, um Schutz zu bitten.
Der Gipfel der maximalen körperlichen Erregung während einer Panikattacke beträgt etwa 90 Sekunden. Diese körperlichen
Veränderungen während der sympathischen oder parasympathischen Aktivierung werden erneut wahrgenommen
und wiederum als gefährlich bewertet. So schaukeln sich Angst und Stressreaktionen weiter auf.
Auch wenn Sie zunächst hier erfahren, wie man sich in einen Angstkreislauf reinschaukelt, so bestehen verschiedene
Ausstiegsmöglichkeiten aus diesem Teufelskreis.
Formen des Angstverhaltens
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